
26 Jul Chancengleichheit in der Personalauswahl: Vermeidung von „Implicit Biases“
Entscheidungen sind fester Bestandteil unseres täglichen Lebens und beruhen auf unserer Wahrnehmung der Realität. Die Auswahl von qualifiziertem Personal beruht ebenfalls auf den Einschätzungen der jeweiligen Entscheidungsträger und sollte dem Anspruch des Gütekriteriums der Objektivität gerecht werden, um eine Chancengleichheit für alle Bewerber zu gewährleisten. Jedoch sind unsere Entscheidungen nicht immer verlässlich und objektiv. Unbewusste kognitive Verzerrungen (Implicit Biases) sind ein Teil unserer Wahrnehmung und damit auch Teil unseres Alltags. Sie beeinflussen unsere Urteile und unser Verhalten und können beispielweise im Rahmen der Personalauswahl zum Nachteil bestimmter Personengruppen getroffen werden. Doch was genau versteht man unter einem Implicit Bias?
In der Theorie der sozialen Identität bezeichnet ein Implicit Bias (auch Implicit Stereotype) eine Voreingenommenheit bzw. eine unbewusste Zuschreibung bestimmter Merkmale durch ein Individuum an ein Mitglied einer anderen sozialen Gruppe. Diese Wahrnehmungsverzerrung liegt dann vor, wenn die eigene Wahrnehmung durch unbewusstes Kategoriedenken beeinflusst wird und dadurch bestimmte Urteile gegenüber einer Gruppe als wahrscheinlicher angenommen werden als gegenüber einer anderen Gruppe. Implizite Stereotypen werden durch Erfahrungen geprägt und basieren auf erlernten Assoziationen zwischen bestimmten Eigenschaften und sozialen Kategorien, wie zum Beispiel das Geschlecht, das Gewicht, das Alter oder die ethnische Herkunft. Sie beeinflussen die Wahrnehmung und das Verhalten von Menschen und kommen im Alltag ohne eine bewusste Absicht zur Anwendung, sogar dann, wenn man sich dessen Existenz nicht bewusst ist. Das Wirken von Implicit Biases kann weitreichende Folgen mit sich bringen, in dem es beispielsweise zum Fortbestehen von Diskriminierungen gegenüber bestimmten Personengruppen beitragen kann. Doch was bedeutet das für die Personalauswahl? Eine Metaanalyse von Quillian et al. (2017) über 28 Studien mit mehr als 55.000 Teilnehmern zeigte, dass die Chance auf eine Einladung innerhalb eines fiktiven Bewerbungsverfahrens von der ethnischen Herkunft des Namens abhängt – bei sonst identischer Bewerbung. Weichselbaumer (2016) zeigte in einer Untersuchung, dass Frauen, welche auf ihren Bewerbungsfotos ein Kopftuch trugen, schlechtere Chancen auf eine Einladung hatten als ihre Mitbewerberinnen ohne Kopftuch. In einer weiteren Studie (Hipp, 2020) wurde die Chance von Frauen und Männern, die bereits Eltern sind, innerhalb eines Bewerbungsverfahrens verglichen, dabei zeigte sich, dass ausschließlich Frauen durch Angabe der Elternschaft einen Nachteil erfuhren. Zusammengefasst lässt sich sagen, dass die impliziten Verzerrungen gegenüber bestimmten Personengruppen zu systematischen Benachteiligungen im Einstellungsprozess führen. Was kann man also tun, um dies zu verhindern und somit Chancengleichheit für alle Bewerber zu ermöglichen?
Ein möglicher Ansatz ist die Neuprogrammierung der erlernten Assoziationen durch Konfrontation mit Szenarien, die inkonsistent mit dem bestehenden Vorurteil sind. Mehrere Studien haben bereits untersucht, inwieweit sich diese Verzerrungen verändern lassen. Allerdings zeigten Lai et al. (2016), dass die Veränderung eines bestehenden Stereotyps nur von kurzer Dauer ist und nach wenigen Tagen wieder die initiale Einstellung erreicht ist. In Anbetracht dieser Erkenntnis ist es umso wichtiger, für Aufklärung zu sorgen und das Bewusstsein dafür zu erzeugen, dass die eigene Wahrnehmung kognitiven Verzerrungen unterliegt, die das Verhalten beeinflussen. Schnelle Entscheidungen werden durch automatische Prozesse gesteuert und sind demensprechend anfälliger für Verzerrungen. Bewusstes Abwägen und tiefere Reflektionsprozesse bedürfen dem Einsatz höherer kognitiver Ressourcen und vermindern das Risiko einer Verzerrung. Implizite Assoziationstests (IAT) bieten außerdem die Möglichkeit, sich selbst auf das Vorhandensein bestimmter unbewusster Vorurteile zu testen. Eine weitere Möglichkeit ist die entsprechende Gestaltung des Bewerbungsprozesses und des Auswahlgremiums, um die Gefahr der Wirkung kognitiver Verzerrungen zu reduzieren. Zeit- und ressourcensparende Bewerbungsprozesse können durch schnelles Urteilen zur Aufrechterhaltung von Stereotypen beitragen. Dementsprechend sollten die Rahmenbedingungen so beschaffen sein, dass genügend Zeit und Ressourcen für den Einsatz von geschultem Personal, der Aufklärung sowie der Erfüllung aller psychometrischen Kriterien der Personalauswahl verfügbar ist.
Abschließend bleibt zu sagen, dass unsere individuelle Wahrnehmung keineswegs objektiv ist und immer bestimmten Verzerrungen unterliegt. Da dem Gütekriterium der Objektivität in der Personalauswahl eine große Bedeutung zukommt, ist es deshalb umso wichtiger, im Hinblick auf die Wirkung von Implicit Biases für Aufklärung zu sorgen und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, damit die Chancengleichheit bei der Personalauswahl garantiert ist.
Quellen:
Hipp, L. (2020). Do hiring practices penalize women and benefit men for having children? Experimental evidence from Germany, European Sociological Review, Vol. 36, Iss. 2, pp. 250–264, http://dx.doi.org/10.1093/esr/jcz056.
Lai et al. (2016). Reducing Implicit Racial Preferences, Journal of Experimental Psychology: General, 145 (8).
Quillian, L., Pager, D., Hexel, O. & Midtbøenf, A. H. (2017). Meta-Analysis of field experiments shows no change in racial discrimination in hiring over time, PNAS, 114 (41), 10870-10875.
Röhner, J. & Schütz, A. (2021). Implicit Biases mindern: Chancengleichheit bei der Personalauswahl. https://www.wirtschaftspsychologie-aktuell.de/magazin/implicit-biases-mindern-chancengleichheit-bei-personalauswahl/179/. Zugriff am 23.07.2021.
Weichselbaumer, D. (2016). Discrimination against Female Migrants Wearing Headscarves, IZA Discussion Paper (10217).